Computer-Metapher des Geistes, Computer-Theorie des Geistes. Die Computer-Theorie des Geistes "ist das gegenwärtig bestimmende Paradigma in der kognitionswissenschaftlichen Forschung. Sie beschreibt den menschlichen Geist in Analogie zum Computer als ein Programm, das auf einer Hardware, dem Gehirn, implementiert ist.... Der Grundgedanke besteht darin, semantische Eigenschaften auf physikalische zurückzuführen. Kognitive Prozesse gelten demnach als elementare Rechenprozeduren, die in einer im Gehirn fest installierten logischen Sprache ausgeführt werden." (Strube 1996, 91)
Die Computer-Metapher des Geistes ist für NLP bedeutsam. (Dilts und Epstein 1992a, 20 bezeichnen sie als die "Basisprämisse" des NLP). Sie findet sich in vielen Texten und steht auch im Zusammenhang mit der Wortgebung von NLP als "Programmieren" (Ardui und Wrycza 1994a, 11)
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© Lucas Derks 1997
Die Computer-Metapher des Geistes hat die Anfangszeit des NLP geprägt (und ist teilweise für seinen Erfolg verantwortlich). Ein Computer hat eine formal-logische Struktur, eine Vielzahl formaler Programme. Bandler und Grinder beschrieben das Handeln von Virginia Satir, Fritz Pearls und Milton Erikson als Set formaler Regeln, als Anwendung formaler Programme.
Diese Art des Denkens und diese Art der Beschreibung brachte für NLP viele Vorteile. Beispiele sind (vgl. auch Ardui und Wrycza 1994a, 11ff.):
(1) die Konzentration auf Strukturen und nicht auf Inhalte von Kommunikation,
(2) die Formulierung einfacher, klarer und kohärenter Modelle, die
(3) leicht zu lernen und zu lehren sind;
(4) eine nüchterne und neutrale Sprache, die es erlaubt,
(5) NLP-Gedanken und NLP-Techniken in vielen Kontexten erfolgreich einzusetzen.
Die Computer-Metapher des Geistes ist eng mit dem mechanistischen Welt-Bild verbunden. Hier wird alles als Maschine gedeutet. Im mechanistischen Welt-Bild ist Bewusstsein das große Rätsel. In der Geschichte dieses Welt-Bildes wurde immer die technisch fortgeschrittenste Maschine als Metapher für den menschlichen Geist genommen. Descartes beschrieb die Interaktion von Körper und Geist durch Hebeln und Fäden (das, was im Gehirn denkt, macht den Körper beweglich wie ein Marionetten-Spieler eine Puppe). Im 19. Jahrhundert glaubte man, der Geist sei eine komplizierte Dampf-Maschine (mit kleinen Ventilen im Gehirn). Im 20. Jahrhundert ist man auf den Computer gekommen - und in hundert Jahren wird man vermutlich die Computer-Metapher des Geistes so eigenartig finden, wie wir heute die Dampfmaschinen-Metapher.
Das mechanistische Welt-Bild ist heute überholt. In vielen Wissenschaften wurde schlüssig nachgewiesen, dass ein mechanistisches Bild prinzipiell unzulässig ist. Es wurde auch bewiesen, dass der Geist kein Computer sein kann und letztlich nicht in Analogie zu einem Computer verstanden werden kann. (Ein elegantes Argument verwendet die Unvollständigkeitssätze von Gödel, wo mit Mitteln der formalen Logik eine prinzipielle Grenze der Anwendbarkeit der formalen Methode nachgewiesen wurde. Vgl. Nagel und Newman 1984, Bachmann 1985, Blaseio 1986, Dreyfus und Dreyfus 1988 (1986), Penrose 1990 und Ötsch 1991).
Dieser Befund ist auch für NLP relevant. Wenn der menschliche Geist nicht als Computer gedacht werden kann, dann können alle Interpretationen im NLP, die sich auf die Computer-Metapher berufen, in Frage gestellt werden.
Mehr noch: NLP betont die Wichtigkeit von Beliefs und von Vorannahmen für das menschliche Denken und Handeln. Wenn die Computer-Metapher des Geistes eine (offene oder heimliche) Vorannahme von NLP (oder von Richtungen im NLP) ist, dann könnte sie für das Handeln von Menschen, die NLP praktizieren und weitergeben, relevant sein - und könnte damit Probleme eigener Art mit sich bringen.
Mögliche Beispiele sind (vgl. auch Ardui und Wrycza 1994a):
(1) Die Illusion, man könne rein formal (durch ein formales Set von Handlungs-Anweisungen) jede beliebige menschliche Erfahrung verändern.
(2) Die Illusion, man könne rein formal (durch ein formales Set von Handlungs-Anweisungen) Menschen "befähigen", sich selbst beliebig zu "programmieren".
(3) Die Illusion, man könne rein formal (durch ein formales Set von Handlungs-Anweisungen) "Programmierer" "befähigen", andere Menschen beliebig zu verändern.
(4) Die Illusion der Macht über andere, was den Manipulations-Vorwurf an NLP nähren kann.
(5) Ein reduziertes Menschen-Bild, bei dem nicht systematisch darauf Bezug genommen wird, dass der menschliche Geist mächtiger als jedes formales Programm ist, weil er jedes formale Programm "transzendieren" kann (die Pointe der Unvollständigkeitssätze von Gödel).
NLP steht damit (das ist meine Meinung) vor der Aufgabe, die Vor- und Nachteile der Computer-Metapher sorgsam abzuwägen und über seine (implizite) theoretische Basis ernsthaft nachzudenken.
© Walter Ötsch