Auswahl-Prozess des Bewusstseins Der Gedanke der Auswahl ist zentral für ein konstruktivistisches "Verstehen" von Bewusstsein (In meinem Verständnis ist NLP ein konstruktivistischer Ansatz).
Was Menschen wahrnehmen (was sie "für-wahr-nehmen"), ist ein winziger Ausschnitt der Informationen, die über die Sinne aufgenommen und vom Gehirn verarbeitet werden. Das Auge sendet pro Sekunde mindestens 10 Millionen Bit an das Gehirn, die Haut 1 Million, das Ohr 100.000 und der Geschmacksinn ungefähr 1000 Bit. Alles in allem sind das mehr als 11 Millionen Bit / Sekunde (Zimmermann 1993, 182). Im Bewusstsein erscheint ein unglaublich winziger Teil, vielleicht 10 Bit / Sekunde: ein Millionstel dessen, was wir über die Sinne aufnehmen (Norretranders 1994 (1991), 189ff.).
(In vielen NLP-Texten wird, mit Verweis auf Miller 1956, die Bandbreite des Bewusstseins oft mit "sieben plus / minus zwei" angegeben. Miller entwickelt in diesem Aufsatz das Prinzip des Chunking: Menschen können sich - wenn sie sich anstrengen - ungefähr sieben verschiedener "Dinge" bewusst sein (sieben Wörter, sieben Zahlen, sieben Begriffe, sieben Geräusche, ...). Mehr "Dinge" werden im Bewusstsein als "Ganzheit" erfahren: die Aufmerksamkeit richtet sich auf den nächsthöheren Chunk).
Der enorme Auswahl-Prozess der Wahrnehmung wird ganz entscheidend von früheren Erfahrungen, vom Gedächtnis, beeinflusst: "Wahrnehmung und Gedächtnis sind untrennbar miteinander verbunden" (Roth 1991, 147). Wahrnehmen ist Umgestalten von Informationen anhand erlernter Wahrnehmungs-Filter: "Wir nehmen stets durch die "Brille" unseres Gedächtnisses wahr; denn das, was wir wahrnehmen, ist durch frühere Wahrnehmungen entscheidend mitbestimmt. " (ebenda).
Dazu einige Zahlen:
Das Gehirn hat, so schätzt man, eine Billion Nervenzellen, - das sind tausend Milliarden, eine Eins mit 12 Nullen. Diese Billion Nervenzellen sind durch mindestens eine Trillion Verknüpfungspunkte verbunden (Synapsen genannt), das sind tausend Billionen. Jede dieser Synapsen hat viele, vielleicht hundert Freiheitsgrade (Roth 1990b, 167).
Das Gehirn ist wie ein riesiger Kosmos, der sein Eigenleben führt. Nur ein überraschend kleiner Teil des Gehirns beschäftigt sich direkt mit Wahrnehmungs-Prozessen. Kaum mehr als einige Millionen Nervenzellen haben mit der primären Sensorik, den Sinnesorganen, und der Motorik zu tun. Die zentrale Erregungsverarbeitung und Auswertung hingegen wird von mindestens 500 Milliarden Zellen bewerkstelligt. Das heißt: auf jede Nervenzelle, auf jedes Neuron, das primäre Sinneseindrücke verarbeitet, "kommen rund hunderttausend Neuronen, die diese "Information" weiterverarbeiten, mit früherer Erfahrung vergleichen und zur Konstruktion kognitiver Wirklichkeit benutzen. Wir können also ohne Übertreibung sagen, dass das Gedächtnis unser wichtigstes Sinnesorgan ist." (Roth 1990a, 280).
In dieser Deutung hat Bewusstsein immer mit Modell-Bildung zu tun. Dafür sind auch jene Prozesse bedeutsam, die NLP im Meta-Modell beschreibt: die Tilgung, die Verzerrung und die Verallgemeinerung von Informationen.
In der konstruktivistischen Interpretation wird der enge Zusammenhang von Wahrnehmung und Beliefs betont: Menschen nehmen nicht das wahr, "was ist" (im Konstruktivismus gibt es keine "objektive Realität"), sondern das was einem (unbewussten) Modell der "Außen-Welt" entspricht. Menschen "sehen" nicht "die Welt", sondern ihr Modell der Welt, ihre Beliefs über die Welt. Wahrnehmen ist kein (reines) Ab-Bilden, sondern ein (unbewusstes) Konstruieren (Emrich 1990). Wahrnehmen und Bedeutung-zu-geben sind Aspekte desselben Prozesses: "Es gibt keine Trennung von Wahrnehmung und Interpretation. Der Akt des Wahrnehmens ist der Akt der Interpretation." (Glasersfeld und Richard 1984, 18).
© Walter Ötsch