Das Wörterbuch des NLP

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Synästhesie Synästhesie bedeutet im Griechischen Mitempfinden. In der Medizin wird damit ein Sinnes-Eindruck bezeichnet, der durch einen nichtspezifischen Reiz ausgelöst wurde (z.B. ich reibe mir die Augen und "sehe" Sterne).

Im NLP spricht man von Synästhesie, wenn eine Gruppe von Repräsentations-Systemen gleichzeitig oder nacheinander erlebt wird (simultane oder sequentielle Synästhesie). Dilts erklärt dies anhand einer Metapher aus der Chemie: so wie sich unterschiedliche Atome zu einem Molekül verbinden, so verbinden sich unterschiedliche Repräsentationen zu einem "Synästhesie-Molekül" (1993 (1990), 42ff.).

Dilts u.a. definieren Synästhesien als "Kreuzverbindungen zwischen Repräsentationskomplexen in dem Sinne, dass die Aktivität in einem Repräsentationssystem die Aktivität in einem anderen System initiiert. ... Wenn man einen strengen Tonfall vernimmt und sich dabei unbehaglich fühlt, dann ist das ein Beispiel für eine auditiv-kinästhetische Synästhesie. ... Wenn man Musik hört und sich eine schöne Landschaft vorstellt, dann liegt eine auditiv-visuelle Synästhesie vor." (Dilts u.a. 1994 (1980), 43; ähnlich bei Gordon 1995 (1978), 102). Synästhesien sind von Strategien zu unterscheiden: "Eine Strategie ist eine Sequenz von Repräsentationssystemen, doch in einer Synästhesie werden sie alle zu einer Gruppe zusammengefasst" (Dilts 1993 (1990), 42).

Synästhetische Muster und synästhetische Prozesse sind nach NLP überaus bedeutsam:

(1) Wahrnehmen ist meist synästhetisches Wahrnehmen: "Die meisten (wenn nicht alle) unserer perzeptiven Erfahrungen" sind synästhetische Erfahrungen (Gordon 1995 (1978), 111).

(2) Die Art der Synästhesie bei einem Wahrnehmungsakt bestimmt in hohem Maße die Deutung, die Interpretation dessen, was wahrgenommen wird. "Synästhesie-Muster konstituieren weitgehend den menschlichen Sinngebungsprozess" (Dilts u.a. 1994 (1980), 43; ähnlich bei Gordon 1995 (1978), 200).

(3) Synästhesie-Muster sind in vielen Fällen erlernte Muster, die unbewusst und automatisch ablaufen (Bandler und Grinder 1994b (1976), 112ff.). Viele Synästhesie-Muster sind stabile Muster. Unterschiede zwischen Individuen, Personengruppen und Kulturen können als Unterschiede in den (relativ) stabilen Synästhesie-Mustern beschrieben werden (Gordon 1995 (1978), 110; Dilts u.a. 1994 (1980), 43f.).

(4) Synästhesie-Muster können bewusst gemacht und verändert werden. Ihre Veränderung ist in hohem Maße geeignet, Verhalten zu verändern (Dilts u.a. 1994 (1980), 44).

Viele NLP-Konzepte und -Methoden können in Zusammenhang mit dem Synästhesie-Konzept diskutiert werden.

Beispiele:

(1) Synästhesien können für die Intensität des Erlebens bedeutsam sein. In vielen Fällen wirken Synästhesien verstärkend: "Die einzelnen Bausteine des (Synästhesie-)Moleküls sind allesamt miteinander verbunden, deshalb ist es machtvoller" (Dilts 1993 (1990), 43). Synästhesien aufzulösen kann eine wirkungsvolle Dissoziations-Technik sein. Synästhesien zu konstruieren kann eine wirkungsvolle Assoziations-Technik sein.

Dilts empfiehlt für die Veränderung hinderlicher Beliefs: (a) die Identifikation der Synästhesie, die mit dem Erleben des Beliefs einhergeht, (b) die Trennung der Synästhesie, indem jede sensorische Repräsentation im inneren Raum in die "richtige" Augenposition (nach dem Modell der Augenbewegungsmuster) gebracht wird, und (c) die Konstruktion einer neuen Synästhesie für ein förderndes Belief (ebenda).

(2) Ein Übergang von einer Untereigenschaft 1 in einem Repräsentations-System A zu einer anderen Untereigenschaft 2 in einem anderen Repräsentationsystem B im Rahmen einer Synästhesie kann als "Synästhesie-Wechsel" definiert werden (Gordon 1995 (1978), 110). Jemand hat z.B. Angst (A: kinästhetisch), die sich in einem Spannungsgefühl im Magen (Untereigenschaft 1) äußert und wird angeleitet, diese Gefühl zu aktivieren und in ein visuelles Bild (System B) zu fassen. Spontan entsteht das Bild eines grünen Ballons (Untereigenschaft 2: grün). Eine Veränderung von Untereigenschaft 2 (z.B. den Ballon schwarzweiß zu machen) verändert in der Regel Untereigenschaft 1 (z.B. die Spannung schwindet und die Angst geht weg).

Synästhesie-Wechsel sind damit eine Möglichkeit, Untereigenschaften zu verändern. Ihr Einsatz empfiehlt sich nach Gordon (115ff.):

(a) um Erfahrungen breiter zu repräsentieren (wie im Beispiel mit der Angst und dem Ballon). Das Bewusstwerden unbewusster Synästhesien (das Bild von dem Ballon) kann Wahlmöglichkeiten eröffnen: Angst-Erlebnisse können z.B. von inneren visuellen Bildern verursacht sein, die Menschen nicht bewusst sind.
(b) um Erfahrungen angemessener zu repräsentieren. Bestimmte Fähigkeiten bedürfen bestimmter Repräsentations-Systeme. Eine kinästhetisch orientierte Person, der es schwer fällt, Menschen zu zeichnen, kann z.B. lernen, ihr Gespür für Körperbewegungen in visuelle Bilder umzusetzen.
(c) um verschiedene Erfahrungen im gleichen System zu repräsentieren. Ein stuck state kann z.B. durch zwei gleichzeitige Repräsentationen gekennzeichnet sein (z.B. kinästhetisch: "Ich will mich entspannen" - visuell: "aber ich sehe so viel, was getan werden muss"). Ein Überwechseln in das gleiche System kann den inneren Zustand verändern (z.B. "Ich sehe mich entspannt in einem Berg Arbeit liegen").

(3) Bandler und Grinder (1994b (1976), 112ff.) diskutieren Synästhesien im Rahmen des Meta-Modells. (Synästhesien werden hier als "unscharfe Funktionen" definiert). Jemand sagt: "Mein Nachbar ärgert mich" und drückt damit eine "Sehen-Fühlen-Synästhesie" aus: immer, wenn er seinen Nachbarn sieht, ärgert er sich. ("Unscharfen Funktionen" liegen die semantischen Fehlgeformtheiten "Ursache/Wirkung" und "Gedankenlesen" zugrunde): Ganz klar, all das ist leicht für Sie zu verstehen!

 

© Walter Ötsch