Meta-Modell der Sprache (1) Was ist ein "Meta-Modell"? Ein Modell beschreibt Daten oder Eindrücke. Eine Landkarte beschreibt einen Ausschnitt aus dem Gebiet. Meta-Modelle beschreiben nicht Daten oder Eindrücke, sondern Strukturen der Modelle dieser Daten. Sie beschreiben nicht das Gebiet, sondern die Landkarte oder die "Landkarte der Landkarte". Mit einem Meta-Modell wird die Form eines Modells beschrieben. Ein Meta-Modell ist eine zweite Beschreibungsebene, die sich auf die erste bezieht.
(2) Wenn man davon ausgeht, dass eine Sprache, die einen Ausschnitt der Welt beschreibt, ein Modell dieser Welt ist, ist das Modell eines Modelles ein "Meta-Modell".
Ein Beispiel: Eine Landkarte beschreibt die Strecke zwischen Dresden und Warschau. Ein Modell der Landkarte wäre die Legende, die z.B. angibt, wievielen Kilometern in der Realität ein Zentimeter auf der gemalten Landkarte entspricht. Gleiches gilt für die Linguistik: Linguistik ist eine Wissenschaft, die die Strukturen der Sprache beschreibt. D.h. sie formuliert ein Set von Strukturelementen und Regeln, welche die Strukturen der Sprache, die zu beschreiben ist, möglichst genau erfasst und abbildet.
Es gibt verschiedene Modelle, mit deren Hilfe die Wissenschaft namens Linguistik sich dieser Aufgabe widmet. Eines davon ist die Transformationsgrammatik.
(3) Das Meta-Modell des NLP entstand, als man sich bemühte, die von Therapeuten verwendeten Sprachformen zu identifizieren und zu beschreiben. Es ist Ausdruck einer bestimmten Sprachphilosophie und benutzte die von Noam Chomsky in der frühen Transformationsgrammatik entwickelten Unterscheidungen.
Die Sprachphilosophie des Meta-Modells wurde nicht von Noam Chomsky, sondern von Alfred Korzybski und anderen Sprachphilosophen entwickelt. Die Sprachphilosophie besagt im wesentlichen folgendes: Ein Symbol ist nicht das, was es symbolisiert. Ein Wort ist nicht identisch mit dem, was es bezeichnet. Ein Wort bezeichnet ein Set von Erfahrungen, Sinneseindrücken und ihrer emotionalen Bewertung. Ein Symbol entsteht, wenn von Details dieser Erfahrung abstrahiert und die Erfahrung einem Konzept zugeordnet wird, nämlich einem Wort. Wenn jemand ein Wort benutzt, wie z.B. "Sicherheit", hat er viele Sinneseindrücke und emotionale Erlebnisse gehabt, die er mit diesem Wort assoziiert. Weder sind diese Eindrücke identisch mit dem, was er in der Welt erlebt hat, noch ist das Wort "Sicherheit" identisch mit den Eindrücken. Wenn Eindruck und Wort nicht miteinander identisch sind, ist es möglich, für einen Eindruck viele Worte zu verwenden und mit einem Wort verschiedene Erfahrungen zu assoziieren.
Wie ein Wort verwendet wird, lernt ein Kind zuerst in seinem Elternhaus. In der Zeit, in der es seine angeborene Fähigkeit nutzt, eine Muttersprache zu lernen, lernt es Erfahrungen mit den Wörtern dieser Sprache zu verbinden. Entsprechend den Strukturen dieser Sprache lernt es, die Wörter zu Sätzen miteinander zu verbinden. Es lernt sozusagen eine Regel: Verbinde diese Reize mit jenem Wort und benutze das Wort auf eine Weise, das andere dich verstehen. Während also die Erfahrungen, die mit einem Wort verbunden werden, immer individuell, einzigartig und unwiederholbar sind, sind die Regeln, welche Erfahrung mit welchem Wort verbunden werden sollen und wie Wörter verwendet werden sollen, kulturell bestimmt.
Wenn zwischen einer Erfahrung und einem Wort, bzw. einem geäußerten Satz eine Differenz besteht, fragt sich, wie das eine in das andere überführt wird. Wie und durch welche Regeln sind Erfahrung und Symbol miteinander verbunden? Wenn die Erfahrungen individuell und einzigartig sind, wie kann man dann damit rechnen, dass der andere im Gespräch etwas ähnliches meint, wie ich, wenn er ein Wort äußert?
Die Antwort Korzybskis: Man kann nicht damit rechnen, dass der andere auf dieselben Erfahrungen referiert wie ich, wenn er das gleiche Wort benutzt. Was ein Wort bedeutet, basiert:
(a) auf der individuellen Erfahrung mit dem Wort,
(b) auf der kulturell erlernten (oder der kulturell geteilten) Erfahrung mit dem Wort, und
(c) auf dem Kontext, in dem das Wort verwendet wird.
Ein Wort hat nie nur eine Definition, unabhängig vom Kontext. Um sich zu verständigen, muss man sich allerdings einigen und daher gelten natürlich kontextabhängige Definitionen.
Wichtig ist zudem, dass ein Symbol immer auf eine bestimmte Erfahrung referiert, es ist nicht unabhängig von ihr. Wer ein Symbol verwendet, zwingt den anderen, sich die Erfahrungen, die er mit dem Wort verbindet, zugänglich zu machen. Verständigung wird besser, wenn wir nicht damit rechnen, dass der andere uns automatisch versteht, und daher nachfragen, welche Erfahrungen er mit einem Wort oder einem Satz verbindet, - und wenn wir damit rechnen, dass die Erfahrungen, die wir mit einem Wort gemacht haben, geteilt werden. Womit wir allerdings rechnen müssen (sonst wäre jede Verständigung unmöglich) ist, dass jemand anderer doch auch Erfahrungen mit uns teilen kann und dass er doch auch Regeln, wie Worte, verwendet werden, die er mit uns teilt.
(4) Die Leistung Noam Chomskys (Chomsky 1973 (1957)): Die Linguistik vor Chomsky war weitgehend eine beschreibende Wissenschaft. Man beschrieb also Daten, Beobachtungen zur Sprache. Chomskys wesentlicher Beitrag zur Linguistik war der, Sprache mit Hilfe eines komplexen Regelsystems zu erklären. Die im menschlichen Geist verankerten Repräsentationen wurden als Konstituenten der Sprachfähigkeit des Menschen analysiert und beschrieben. Kurzum: Chomsky formulierte ein Set von Regeln, die beschreiben, wie die Repräsentation einer Erfahrung über mehrere Stufen zu einem Satz wird, den ein Mensch ausspricht. Ebenso formulierte er ein Set von Regeln, nach denen ein Mensch einen gehörten Satz mit einer Bedeutung versieht.
Nach Chomsky stand nicht mehr sosehr das sprachliche Verhalten eines Sprechers im Mittelpunkt der Untersuchung, sondern das Kenntnissystem, oder seine Kompetenz. Davon ist auch der NLP-Gedanke abgeleitet, therapeutische Kompetenz als ein Set von Regeln zu beschreiben. Chomsky wollte die Regeln beschreiben, die ein kompetenter Sprecher anwendet, wenn er Sätze produziert und das NLP wollte die Regeln beschreiben, die ein kompetenter Therapeut anwendet, wenn er Erfolge produziert.
(5) Chomsky erkannte nun, dass die Sätze einer Sprache verschiedene Strukturen haben: Oberflächen- und Tiefenstruktur. Die Oberflächenstruktur eines Satzes vermittelt seine Form, die Tiefenstruktur seine Bedeutung. Wir hören also einen Satz und geben ihm eine Bedeutung, indem wir ihn mit einer Tiefenstruktur verbinden. Die Bedeutung eines Satzes ist in der Oberflächenstruktur häufig nicht explizit vorhanden. Die Tiefenstruktur eines Satzes gibt dessen Bedeutung an, weil die Tiefenstruktur all die Informationen enthält, die zur Bestimmung der Satzbedeutung erforderlich sind. Die Oberflächenstruktur eines Satzes bestimmt dessen Form, so wie er in der Kommunikation gebraucht wird. Die Oberflächenstruktur legt die syntaktischen Strukturen fest, die für die tatsächlich gesprochene oder geschriebene Kommunikation notwendig sind. Die Tiefenstruktur ist eine Struktur, die man aufgrund der Bedeutung eines Satzes und seiner Syntax annimmt. Die Tiefenstruktur ist daher eine Abstraktion, die Oberflächenstruktur liegt der Sprachwirklichkeit näher.
Eine Oberflächenstruktur kann mehrere Tiefenstrukturen haben, d.h. ein Satz kann mehrere Bedeutungen haben ( Mehrdeutigkeit) und eine Tiefenstruktur kann zu ganz verschiedenen Oberflächenstrukturen transformiert werden, die alle die gleichen Bedeutungen haben (Synonymität).
(6) Tiefenstruktur und Oberflächenstruktur sind durch Transformationen aufeinander bezogen.
Alle Sprachen enthalten Transformationen, die Tiefenstrukturen zu Oberflächenstrukturen transformieren. Diese Transformationen sind Regeln, wie eine Tiefenstruktur in eine Oberflächenstruktur zu überführen sei und umgekehrt. Transformationen sind also Operationen, die auf Elemente der Tiefenstruktur angewendet werden. Diese Transformationen sind die drei Modellbildungsprozesse: Generalisierung ( Verallgemeinerung), Tilgung und Verzerrung. Die Tiefenstruktur ist nun nicht mit der Erfahrung identisch, von der sie abgeleitet ist: um die sprachliche Struktur einer Bedeutung der einmal gemachten Erfahrung zuzuordnen, muss Erfahrung aktualisiert werden. Daher sind bei der Transformation der ursprünglichen Erfahrung zur Tiefenstruktur eines Satzes die gleichen drei Modellbildungsschritte zu beobachten.
Diese Modellbildungsprozesse können mehrfach angewendet werden und werden in der Regel auch mehrfach über mehrere Zwischenschritte angewendet, so dass manchmal Oberflächenstrukturen geäußert werden, die mit der ursprünglich einmal gemachten Erfahrung fast nichts mehr zu tun haben. Sehr wichtig ist jedoch die Erkenntnis:
(a) dass es eine Verbindung gibt und
(b) dass sie mit Hilfe des Werkzeuges der Transformationsgrammatik auch herstellbar ist.
(7) Die Unterscheidungen des Meta-Modells beschreiben die Form der Oberflächenstruktur, bzw. der Tiefenstruktur. Wir haben es also mit einer weiteren Beschreibungsebene zu tun. Die Oberflächenstruktur eines Satzes bestimmt dessen Form, und die Meta-Modell-Unterscheidungen beschreiben diese Form. Wenn wir feststellen, dass ein Modaloperator verwendet wurde in einer Oberflächenstruktur, wie z.B.: "Du musst jetzt aufstehen", dann beschreiben wir die Form einer Form oder die Struktur eines Satzes mit Hilfe einer weiteren Struktur.
Wichtig ist also, dass die Meta-Modell-Unterscheidungen Beschreibungen der Form der Oberflächenstruktur bzw. teilweise der Form der Tiefenstruktur sind. Diese Form wird so beschrieben, dass die Regeln dargestellt werden, die angewendet wurden. Wenn man sagt: "Du musst jetzt aufstehen", dann wissen wir, durch die Art der Beschreibung, dass hier eine Tilgung der Konsequenzen stattgefunden hat, die eintreten, wenn der Sprecher nicht aufsteht.
Die Feststellung, es gäbe in einem beliebigen Satz einen Modaloperator der Notwendigkeit, hilft einem dann weiter, wenn man zugleich die Regel kennt, dass ein solcher Modaloperator auf eine Tilgung verweist. Man kann dann sinnvoll schließen, dass Elemente der Erfahrung des Sprechers getilgt wurden und man kann auch schließen, welche Elemente getilgt wurden. Es ist durchaus möglich, dass eine Meta-Modell-Verletzung auf mehrere Transformationen hinweist.
Beispielsweise muss man, um von einem Prozesswort wie "lieben" zur Nominalisierung "Liebe" zu kommen:
(a) eine Tilgung anwenden ("Wer liebt wen?") und
(b) eine Verzerrung (ein Prozess wird zum Objekt verzerrt).
Meta-Modell-Unterscheidungen sind nicht Tilgungen, Verzerrungen und Generalisierungen, sondern beschreiben das Resultat von Tilgungen, Verzerrungen und Generalisierungen.
(8) Wenn man die Regeln kennt, nach denen die verschiedenen Strukturebenen miteinander verbunden wurden, kann man von der Oberflächenstruktur zurückgehen zur ursprünglichen Erfahrung.
Es ist ein therapeutisch wichtiges Ziel, dass ein Klient das, was er sagt (die Sätze, die er ausspricht), mit dem in Zusammenhang zu bringen, was er tatsächlich erlebt hat. Die Sätze, die jemand im Gespräch äußert, sind häufig eine Deutung dessen, was er erlebt hat. Wenn dem Klienten die ursprüngliche Erfahrung zugänglich gemacht wurde, ist es möglich, diese ursprüngliche Erfahrung neu zu deuten. Da es mit Hilfe des Meta-Modelles sehr leicht möglich ist, dazu Hilfestellung zu leisten, ist das Meta-Modell ein für die therapeutische Arbeit entscheidend neues Werkzeug.
Ebenso wichtig ist es jedoch für die alltägliche Kommunikation: Eben weil man sich darauf trainiert zu hören, welche Form eine Oberflächenstruktur hat, macht man sich immer wieder bewusst, dass diese Oberflächenstruktur nicht mit der eigenen Bedeutung, die man ihr gibt identisch ist, und nicht mit der Erfahrung des Sprechers, der sie äußert.
© Walter Ötsch