Mechanistisches Welt-Bild NLP hat viele Modelle, die auf unterschiedlichen "Welt-Bildern" beruhen. Die primäre Metapher des NLP ist die Maschinen-Metapher: der Mensch als Maschine, sein Geist als Computer (Ardui und Wrycza 1994, 10).
Die Maschinen-Metapher wird im NLP nur wenig diskutiert. Weil ich diesen Punkt für bedeutsam halte, stelle ich meine persönliche Meinung (W.Ö.) hier zur Diskussion:
Das mechanistische Welt-Bild ist das Welt-Bild der Neuzeit. Sie beherrscht das Denken der Menschen in unserer Kultur seit dem 17. Jahrhundert. Die Grund-Aussage des mechanistischen Welt-Bildes ist einfach: alles ist eine Maschine.
Was ist eine Maschine? Eine Maschine besteht (nach Merchant 1987 (1980), 231ff.):
(1) aus Einzelteilen,
(2) die miteinander kausal-funktional verbunden sind.
(3) Diese Verknüpfungen sind logisch beschreibbar: es gibt einen Bauplan. Eine Maschine ist ein logisch geordnetes System. Sie verkörpert Ordnung und Regelmäßigkeit. Alles ist determiniert, alles kann berechnet werden.
(4) Eine Maschine ist ein "Ding", das von anderen "Dingen" getrennt ist. Sie kann von außen manipuliert werden und verleiht dem Manipulator Macht.
(5) Jeder Teil der Maschine kann getrennt analysiert werden. Die Summe der Informationen über die Einzelteile und ihre Verbindungen ergibt die Gesamtheit der Informationen über die Maschine.
(6) Eine Maschine kann durch (diskrete) Sinnes-Daten erforscht werden. Alles an der Maschine kann gemessen werden.
Im mechanistischen Welt-Bild werden dieses Aussagen auf ALLES übertragen. Danach gilt:
(1) Die Natur besteht aus diskreten Teilchen, wie Atome oder Elementar-Teilchen (atomistische Ontologie),
(2) die durch einen Kausal-Zusammenhang miteinander verknüpft sind.
(3) Diese Verbindungen können formal-logisch beschrieben werden. Es gibt einen Bauplan (Naturgesetze). Die Welt ist ein logisch geordnetes System. Sie verkörpert Ordnung und Regelmäßigkeit. Alles in der Natur kann mit den Mitteln der formalen Logik und der Mathematik beschrieben werden.
(4) Subjekt und Objekt sind radikal getrennt. Die Welt (die Objekte) kann von außen (von den Subjekten) manipuliert werden. Die Subjekte bekommen dadurch Macht über die Welt: über die Natur, über Dinge, über andere Subjekte (die wie Objekte behandelt werden). Wissen ist Macht.
(5) Die Natur kann in ihre kleinsten Einzelteile zerlegt werden. Jedes Einzelteil kann getrennt analysiert werden. Die Summe der Informationen über die Einzelteile und ihre Verbindungen ergibt die Gesamtheit der Informationen über die Natur (methodologischer Reduktionismus).
(6) Alle Aspekte der Natur sind quantitativer Art. Alles ist messbar. Sinnes-Daten sind diskrete Messdaten (erkenntnistheoretische Voraussetzung).
Das mechanistische Welt-Bild hat viele (durchaus widersprüchliche) Aspekte. Es ist ein philosophisches und wissenschaftliches Gedanken-Gebäude mit unzähligen Varianten - von Descartes (seinem Begründer) bis hin zur modernen kognitiven Psychologie (auf die sich viele Vertreter des NLP berufen), der künstlichen Intelligenz-Forschung (wo manche den menschlichen Geist als Maschine nachbauen wollen) und der Computer-Metapher des Geistes. Der wichtigste Einfluss des mechanistischen Welt-Bildes ist sein Einfluss auf den Alltag, auf die Alltags-Wahrnehmung der meisten Menschen. Das mechanistische Welt-Bild ist (in meinem Verständnis) das grundlegende Belief unserer Kultur, die heimliche Vorannahme vieler Menschen, ihr wichtigster Wahrnehmungs-Filter. Die meisten Menschen unserer Kultur haben in einem langen und intensiven Lern-Prozess über viele Jahre hinweg gelernt, die Welt genauso wahrzunehmen, wie es das mechanistische Welt-Bild beschreibt: für uns gibt es "Dinge", getrennt von uns, den leeren Raum, die lineare Zeit. Es gibt Kausalität und Naturgesetze (alles andere ist "Zufall") und wir selbst sind so etwas wie "Dinge", isoliert und radikal getrennt von allem um uns herum. Das mechanistische Welt-Bild beschreibt die "eigentliche Realität", die "eigentliche Wirklichkeit". Das mechanistische Welt-Bild ist ein gewaltiges Belief, dessen Auswirkungen den meisten Menschen in unserer Kultur nicht bewusst sind.
Das mechanistische Welt-Bild beschreibt die Welt, "wie sie ist". Sie lenkt damit den Fokus des Bewusstseins auf bestimmte Aspekte der Welt und blendet andere Aspekte systematisch aus. Bewusstsein hat mit Auswahl zu tun, und in der Kultur der Maschine haben Menschen gelernt, die Welt so wahrzunehmen, wie es das mechanistische Welt-Bild beschreibt: "Als einheitliches Modell für die Wissenschaft wie für die Gesellschaft hat das Bild der Maschine das menschliche Bewusstsein so restlos durchdrungen und umgestaltet, dass wir heute kaum mehr an seiner Gültigkeit zweifeln." (Merchant 1987 (1980), 192f.). Ist das Bewusstsein von Menschen auf etwas Bestimmtes ausgerichtet, dann definieren sie sich selbst ein Ziel. Ist eine ganze Kultur auf bestimmte Aspekte der Welt ausgerichtet, dann definiert sie sich ein gewaltiges kulturelles Ziel, das die Energien vieler Menschen bündelt. Das mechanistische Welt-Bild ist ein gewaltiges Ziel-Bild. Seine Handlungs-Anleitung ist, "mehr" von der "Welt" zu bekommen: mehr Dinge, mehr Geld, mehr Macht. Die "offizielle" Lebens-Orientierung vieler Menschen folgt unmittelbar aus dem Welt-Bild, an das sie glauben.
Das mechanistische Welt-Bild ist heute widerlegt. Viele Wissenschaften haben schlüssig nachgewiesen, dass die Welt keine Maschine sein kann und nicht als Maschine gedacht werden darf. Bekannte Beispiele sind:
(1) Die Philosophie hat die philosophische Basis des mechanistischen Welt-Bildes zerstört. Ein Beispiel ist die Rolle der Vernunft in den rationalistischen Varianten dieses Bildes. Jede Theorie, die sich letztlich auf die Vernunft beruft, leidet darunter, dass die Vernunft selbst nicht begründet werden kann. Vernunft, die über sich selbst nachdenken will, wird selbstbezüglich und gerät in einen unauflösbaren Zirkel. Alle "Versuche, die Moderne in sich selbst zu begründen, sind gescheitert" (Rehfus 1990, 206).
(2) In der sogenannten "Grundlagenkrise der Mathematik" (Höhepunkt um 1930) wurde nachgewiesen, dass die formale Methode (die formal-axiomatische Methode) prinzipiell nicht geeignet ist, die Welt vollständig zu beschreiben. Jedes formale Modell ist ein unvollständiges Modell. Die Welt kann nicht (wie eine Maschine) formal vollständig beschrieben werden. (vgl. die Literatur beim Stichwort Computer-Metapher des Geistes).
(3) In der Physik der "Elementar-Teilchen" (der Quanten-Mechanik) wurde nachgewiesen, dass die physikalische Realität keine Maschine ist. "Materie" hat paradoxe Eigenschaften (Welle-Teilchen-Dualismus), sie kann empirisch nicht vollständig erfasst werden (Heisenbergsche Unschärferelation), sie ist nicht "objektiv" gegeben (Beobachter-Problem beim Kollaps der Wellenfunktion) und sie unterliegt keiner deterministischen Kausalität (Wahrscheinlichkeits-Interpretation der Wellenfunktion).
Literatur: Zukav 1981 (1979), Gribbin 1987 (1984) und 1996 (1995), Wolf 1986 (1981), Bohm 1987, Herbert 1990 und Nickel 1990.
Diese drei großen Kritiken besitzen einen gemeinsamen Kern: es geht um die prinzipielle Grenzziehung zwischen Subjekt (die "Innen-Welt") und Objekt (die "Außen-Welt"), die in jedem Fall fragwürdig geworden ist (vgl. Ötsch 1996). Die Grundlagen für eine "objektive" Deutung der Welt sind zerstört. Wir wissen heute nicht, was ein "Ding" ist. Das große Rätsel im mechanistischen Welt-Bild ist das Bewusstsein. Wir stehen heute vor der Aufgabe, ein neues Verständnis des Subjekts, des Bewusstseins, zu entwickeln.
All dies ist für NLP relevant. NLP fußt in gewisser Weise auf einem mechanistischen Bild von der Welt und transzendiert es gleichzeitig. NLP ist in meinem Verständnis (W.Ö.) eine praktische Kritik des mechanistischen Welt-Bildes. Es beschäftigt sich mit subjektiven Realitäten, mit dem Bewusstsein, mit der Innen-Welt, - mit Phänomenen, die das mechanistische Welt-Bild nicht erklären kann und die es letztlich sprengen.
NLP widerspricht in seiner praktischen Arbeit wichtigen Aspekten einer mechanistischen Deutung der Welt:
(1) NLP arbeitet manchmal, wie in der Ziel-Arbeit, mit der Symbolik von "Dingen". "Dinge" im menschlichen Erleben sind mehr als nur ihre naturwissenschaftlichen Aspekte.
(2) Für NLP gibt es keinen "leeren Raum". Menschen "bevölkern" in ihrer Innen-Welt den Raum um sich herum die ganze Zeit mit inneren "Bildern", vor allem mit visuellen und auditiven "Bildern" (Das Modell der Augen-Bewegungen dient zur Erkundung dieser "Bilder". Im Sozialen Panorama-Modell wird die Konstruktion der sozialen Welt als Konstruktion einer fiktiven Landschaft, bevölkert mit Menschen, beschrieben).
(3) Für NLP ist die Existenz der linearen Zeit kein "objektiver Tatbestand". NLP studiert die subjektive Konstruktion von Zeit in Form der inneren Zeit-Linie. Zeit ist für NLP nichts Fixes. Zeit ist variabel, sie kann verzerrt und bewusst gestaltet werden.
(4) Für NLP ist der menschliche Körper keine biochemische Maschine. Krankheiten gelten hier als Botschaften von Teilen aus dem Unbewussten, deren Bedeutung erkannt werden kann. Heilung wird möglich, wenn die Botschaft des Körpers und seine gute Absicht auf andere Weise gelebt werden können.
(5) Für NLP ist die Identität einer Person nichts Fixes, wie ein "Ding" mit vorgegebenen Eigenschaften. NLP hat einen plastischen Identitäts-Begriff, der Identitäts-Begriffen im Rahmen des mechanistischen Welt-Bildes widerspricht.
(6) NLP überschreitet im Modell der logischen Ebenen den rein individuellen Ich-Begriff. Menschen konstruieren eine Ebene der Zugehörigkeit, auf der sie ihr Bewusstsein auf etwas "Über-Individuelles" richten. Hier geht es um eine Verbindung, in der Menschen fähig sind, die behauptete radikale Trennung mit dem, "was um uns herum ist" (die Subjekt-Objekt-Trennung) manchmal und zeitweise aufzuheben. (Das Ich, das sich von der Welt getrennt erlebt, ist letztlich eine Illusion).
(7) NLP hat einen Werte-Begriff, der der "offiziellen" (materialistischen) Lebens-Orientierung im mechanistischen Welt-Bild widerspricht. Menschen richten in ihrem Erleben ihre Ziele nicht ausschließlich auf "äußere" Erfolge (oder auf "äußere Macht"), sondern auf "innere" Erlebnis-Qualitäten, auf das Erleben bestimmter innerer Zustände.
Der wichtigste Gedanke des NLP, der das mechanistische Welt-Bild widerlegt, ist in meiner Interpretation (W.Ö.) der Belief-Gedanke. NLP identifiziert sich nicht mit religiösen, wissenschaftlichen oder sonstigen Glaubens-Systemen. NLP widerspricht auf der Inhalts-Ebene jedem Welt-Bild, weil es keinen Wahrheits-Begriff (im Sinne einer absoluten Wahrheit) und keinen Realitäts-Begriff (im Sinne einer objektiven Realität) kennt. NLP beschäftigt sich nicht mit der Ebene des Inhalts von Beliefs, sondern mit der Meta-Ebene von Beliefs: mit der Entdeckung von Beliefs, mit dem Studium der Wirkung von Beliefs, mit der Veränderung von Beliefs. Welt-Bilder sind Beliefs. NLP ist praktizierter Konstruktivismus, wo das mechanistische Welt-Bild auf eine praktische Weise überschritten wird.
Weil das mechanistische Welt-Bild (immer noch) das Welt-Bild unserer Kultur ist, leistet NLP damit seinen Betrag zu einer Transformation unserer Kultur. In diesem Prozess wenden wir uns kollektiv langsam neuen Realitäts-Bildern zu. NLP ist (so verstehe ich das) Teil einer kulturellen Transformation, deren gesellschaftliche Auswirkungen nicht absehbar sind.