Kulturelles NLP NLP ist traditionell auf das Individuum konzentriert, es dient in der Regel der Verbesserung individueller Lebens-Qualität. Die Übertragung von NLP auf soziale Gegebenheiten ist noch wenig erforscht. Kulturelles NLP beschreibt den Versuch, Grundannahmen, Ideen, Konzepte und Techniken des NLP auf Kulturen anzuwenden. Unter Kultur verstehen wir hier große soziale Gebilde, die über eine längere Zeit andauern, wie die Kultur des Mittelalters, der Neuzeit oder der Aborigines.
Kulturelles NLP will zum Verständnis unterschiedlicher Kulturen beitragen und einige Aspekte der Dynamik und Weiterentwicklung von Kulturen erhellen. Dazu ist inbesondere der Belief-Gedanke geeignet. Er besagt, dass jede Art von Wahrheits- oder Wirklichkeits-Konstruktion nur eine Modell-Bildung, eine Konstruktion ist. Beliefs können auf verschiedenen Ebenen studiert werden, wie rein persönliche Beliefs oder die Beliefs einer Gruppe oder einer sozialen Schicht.
Kulturelle Beliefs sind Beliefs, die die meisten Mitglieder einer Kultur teilen. Kulturelle Beliefs beinhalten die "fundamentalen Wahrheiten" einer Kultur, - das, was die Menschen einer Kultur als letzte Wahrheit erachten, das, was als "eigentliche Wirklichkeit" definiert ist. Im Mittelalter zum Beispiel glaubten die Menschen, dass sie in einer Welt aus hierarchisch geordneten Ebenen lebten, die Gott erschaffen hat. Ein Kleriker zum Beispiel wurde einer höheren Ebene zugeordnet als ein Bauer und man glaubte, dass diese Ebenen wirklich existieren und Unterschiede zwischen Menschen beschreiben würden, die so real sind wie die Unterschiede zwischen verschiedenen Arten von Tieren. Wenn viele Menschen eine solche Überzeugung teilen, dann wird sie "real", weil die meisten ihr soziales Leben danach ausrichten. Kulturelle Beliefs sind Bestandteil jeder Kultur, auch der unseren. Kulturelle Beliefs geben die Orientierung für ein "normales" Leben in einer Kultur vor. Sie beschreiben die "Selbstverständlichkeiten" einer Kultur, ihre geheimen Vorannahmen, - das, worüber die meisten Menschen nicht nachdenken (über Selbstverständlichkeiten denkt man nicht nach).
Kulturelle Beliefs lenken die Wahrnehmung im Alltag: ein Kleriker wurde im Mittelalter als "wertvoller" wahrgenommen als ein Bauer. Wenn beide, Bauer und Kleriker, dieses Belief teilen, dann konstruieren sie gemeinsam eine soziale Realität, die ihnen selbstverständlich vorkommt. Aus unserer Perspektive, der Außen-Perspektive, erscheint die soziale Hierarchie des Mittelalters absurd und unverständlich: warum sollte ein Kleriker Macht über Bauern ausüben dürfen? Aus der Innen-Perspektive, im Kontext der Kultur, geht es nicht um "Herrschaft", sondern um eine legitime Ordnung, die in Ordnung ist.
Kulturelle Beliefs definieren kulturelle Ziele. Das, was an "Realität" wahrgenommen wird, bestimmt auch das, was als "richtig" angesehen wird. Wenn Menschen gemeinsam etwas für real halten, an irgendeine Wirklichkeit glauben, dann konstruieren sie gemeinsam ein gewaltiges Ziel-Bild, das ungeheure Energien freisetzen kann. Im Mittelalter glaubten die Menschen an Gott und die Seele. Die kulturellen Ziele lagen im Jenseits: Im Himmel, bei den Heiligen, bei Gott. Die Menschen strebten danach, "edel" zu werden, "fromm" zu leben. Andere Kulturen definieren andere Realitäten und setzen andere Ziele. In der Neuzeit lernten die Menschen an andere Realitäten zu glauben: an den leeren Raum, an die lineare Zeit, an materielle Objekte, an das isolierte Ich. In dieser "Realität" werden andere Ziele interessant: "reich" zu werden, Macht über Dinge zu bekommen, Menschen zu beherrschen.
All diese Überlegungen sind auch für die Jetzt-Zeit relevant. Welche "Realitäten" nehmen Menschen heute kollektiv und kulturell "wahr"? Was sind die geheimen Vorannahmen unserer Kultur? Welche kulturellen Ziele folgen daraus? Wie haben sich kulturelle Beliefs und kulturelle Ziele geschichtlich entwickelt und wie könnte das in der Zukunft sein? Welche Auswirkungen hat das auf den Alltag? Einige Gedanken dazu finden Sie unter dem Stichwort mechanistisches Welt-Bild.
Literatur: Grinder und DeLozier 1995 (1987), Gergen 1996 (1991), Ötsch 1996.
© Walter Ötsch