von Annegret Hallanzy
Der bekannte NLP-Autor Joseph O’Connor hat auf dem DVNLP-Kongreß sowie im letzten NLP-World (4/3, S. 69) die Befürchtung geäußert, daß es NLP genauso wie Apple Computer gehen könne: Die besten Anteile und Erkenntnisse des NLP könnten von anderen Richtungen verwendet und assimiliert werden, so daß NLP binnen kurzem kaum mehr als solches bekannt wäre.
Man könnte nun kontern: NLP hat modelliert und wird modelliert – warum eigentlich nicht? Worum bangen wir? Was macht die erhaltenswerte NLP-Identität aus, wo doch gerade die Stärke des völlig prozeßorientierten NLP darin liegt, kein endgültig „wahres“ Anwendungsrezept und damit kein fertiges Gesamtkonzept zu liefern?
Ohne ein Gesamtkonzept, wie genau NLP in welchem Fall warum was genau bewirkt, gibt es auch kein Gesamtversprechen. Man konnte/wollte bisher nicht festschreiben, was NLP leistet, sobald der Anwender nur die richtigen Voraussetzungen mitbringt. Das herkömmliche Wirkungsversprechen läßt sich so zusammenfassen: NLP wirkt eben. Der Anwender muß nur flexibel sein und sich auf die Landkarte des Kunden/Klienten wohlwollend einstellen, wobei er dem Kunden/Klienten seine „Selbstbestimmtheit“ lassen sollte – eine in Ethik-Gremien der beiden NLP-Vereine häufig verwendete Nominalisierung und Abstrahierung. Gibt es etwa einen nicht selbstbestimmten Klienten?
Das fehlende konkrete Gesamtversprechen führte schon immer in der Öffentlichkeit zu Mißtrauen bei der Einschätzung von NLP, zumal die Inhalte (also die Techniken) nicht als das Wesen von NLP ausgegeben werden. Also ist NLP ohne ein Gesamtversprechen geradezu eine Einladung, es entweder woandershin zu assimilieren oder mißzuverstehen! Da helfen auch keine Versuche, zumindest die Ethik mal festzuschreiben. Eine Ethik ohne ein Gesamtversprechen, was für wen unter welchen Umständen geleistet wird, gibt es nicht: Jede Berufung auf das humanistische Erbe von NLP aufgrund der von Bandler und anderen modellierten Persönlichkeiten endet in hohlen Nominalisierungen, wenn diese Ethik nicht auf ein praktisches und damit überprüfbares Wirkungsversprechen zurückgeführt werden kann. Die unter NLP-Anwendern oft unausgesprochen vertretene Ethik: „Solange der Klient die NLP-Beratung nicht abbricht, wird er wohl was nützliches für sich daran gefunden haben.“ ist keine Ethik, sondern eine Enthaltung, Ethik zu definieren.
Man könnte sogar soweit gehen, zu behaupten, daß die Festschreibung der Ethik gar nicht zu NLP paßt und seinem Wesen widerspricht. Damit wird NLP-Ethik eine nicht definierbare Summenmoral der Werte seiner Anwender. Das ist zumindest ehrlicher gegenüber der Öffentlichkeit als der Versuch, mit irgendwelchen Nominalisierungen so zu tun, als gäbe es umsetzbare, überprüfbare und auch in Vereinen tatsächlich überprüfte Richtlinien für NLP-Veränderungsarbeit. Diese kann es nicht geben, solange NLP-Ethik nicht in ein konkretes Verfahren, also in einen lebendigen Prozeß übersetzt ist, wann NLP wem mit welcher Wirkung angeboten werden sollte, also inwiefern NLP nützlich ist. Solange der Klient zahlt? Oder solange er sich nicht beschwert? Oder solange er aussieht wie K+? Also so ressourcevoll, daß die Anwendung von NLP für ihn in jeder Hinsicht langfristig segensreich gewesen sein muß? Eine gewagte und dennoch verbreitete Grundannahme!
Wenn NLP seine Wirkung spezifiziert, in bezug auf sein(e) Versprechen überprüfbar wird und damit als psychologischer Ansatz eine eigene Identität erhält, muß NLP genormt werden, was jedoch für NLPler nie als erstrebenswert galt. Wo ist der Ausweg aus dem Dilemma zwischen der bedenklichen Enthaltung aus ethischen Fragen einerseits und andererseits der unerwünschten Fixierung von NLP? Im folgenden werden mögliche Antworten jenseits von irgendwelchen Nominalisierungen und Prinzipien diskutiert – auf deutsch: Es geht nun darum, wie ökologisches NLP lebendig, praktisch und konkret werden könnte.
Manche NLPler berufen sich bei der Frage nach einer praktisch realisierten NLP-Ethik auf den Ökocheck. Der Ökocheck enthält die Logik, daß anschließend an eine durchgeführte Intervention die entsprechende Wahrnehmungsveränderung des Klienten noch kontextualisiert wird. Diese ergänzende Maßnahme kann von einem Future Pace (mentale/unbewußte Einstellung auf die Zukunft) bis zu weiteren Interventionen reichen, die manchmal sogar dann die ganze NLP-Beratung ausmachen. Der Klient lernt auf einer Meta-Ebene: „Ändere dich und wenn’s nicht paßt, ändere dich weiter!“ anstatt: „Ändere dich nur so, daß alles besser paßt als je zuvor!“ Anders ausgedrückt: Wenn man noch nachfolgende Veränderungen anschließen muß, um die vorherige Intervention fruchtbar zu machen, heißt dies, daß die Flexibilität durch die vorangegangene Intervention bereits eingeschränkt anstatt erweitert wurde!
Das, was mit dem Ökocheck angestrebt werden soll, ist trotzdem wichtig: Nicht der Klient ist verantwortlich, wenn die Hilfestellungen des Beraters nicht greifen, sondern der Berater überprüft seine eigenen Ergebnisse. Aber die Überprüfung nach einer Intervention ist zu spät, da sie bereits stattgefunden hat und effektiverweise auch uneingeschränkte Wirkungen zeigen sollte. Der Ökocheck vor der Intervention: „Wollen Sie auf diese Weise Ihr Problem X bearbeiten?“ ist wiederum unsinnig, weil der Berater dem Klienten dann die Intervention so genau erklären müßte, daß dieser sie mit sich selbst zuhause machen könnte. Ein ethisch wirklich relevanter Ökocheck müßte also vor allen Interventionen stattfinden und dürfte sich nicht auf die Wirkungsweise einer einzigen Intervention beziehen, sondern sollte vielmehr das mögliche Ergebnis der Beratung an sich thematisieren. Der Ökocheck wird damit zum Kongruenztest in bezug auf die Beratung.
Wenn ein Klient (noch) nicht kongruent im Hinblick auf seine Veränderung ist, sollte er prinzipiell auch keine Hilfe dabei bekommen, einem inkongruenten Ziel näher zu kommen. Wenn ein Klient allerdings ein wirklich kongruentes, bedeutungsvolles und konkretes Ziel verfolgt, wird er kaum Hilfe brauchen, sondern sich alle Ressourcen selbst organisieren. Wenn man etwas wirklich erreichen möchte und konzentriert darauf zugeht, wird man in Windeseile aus eigener Kraft alle notwendigen Schritte dorthin auf sich nehmen oder erlernen. Es gibt keinen Klienten, der zu Beginn der Beratung ein wirklich wohlgeformtes (und bedeutungsvolles) Ziel mitbringt – nicht einmal zum Coaching. Die Dynamik der am häufigsten auftretenden Hindernisse bei einer visionären und dennoch spezifischen Zielsetzung habe ich eingehend erforscht (siehe Literaturhinweis am Schluß):
machen jede bewußte, kongruente Zielsetzung unmöglich.
Ein Ökocheck oder Kongruenztest muß also darin bestehen, Wahlmöglichkeiten vor sämtlichen Interventionen zu geben. Ökologie ist kein Nachbessern einer bereits vorgenommenen Veränderung, sondern das Studium der Kongruenz im Hinblick auf eine geplante Veränderung. Der Begriff „Ökocheck“ ist damit nicht mehr zutreffend, da nicht die Wirkung von Interventionen gecheckt oder überprüft werden sollte, sondern es muß von vornherein abgefragt werden, was der Klient überhaupt in der Beratung erreichen will, d.h. auf welche Weise er mit dem Berater in Beziehung treten möchte.
Die Hypothese, daß der Klient die Beziehung mit dem Berater selbst gestalten kann, auch wenn er keinen wohlgeformten Vorsatz im Hinblick auf die eigene Veränderung mitbringt, beinhaltet die Grundannahme, daß der Klient selbst seine eigene Ökologie am besten beurteilen kann – und zwar von Anfang an. Der Klient kann ein Endergebnis und damit die Wirkung der Beratung – also eine genau definierte Unterstützung des Beraters – definieren, ohne NLP-Interventionen zu kennen und ohne zu wissen, welches persönliche Erfolgsziel ihn aus dem mitgebrachten Problem führen könnte. Ökologie beginnt beim Einverständnis des Klienten mit der Wirkung der gesamten NLP-Veränderungsarbeit. Diese Grundannahme muß den Kern einer praktischen Arbeits-Ethik darstellen.
Damit verschiebt sich ökologisches Denken vom Ökocheck auf das explizite oder implizite Vertragswerk, das die beginnende Beziehung zwischen Klient und Berater definiert. Der Klient zahlt für eine Dienstleistung, die vom Berater genau definiert wird. „Ich helfe Ihnen!“ sagt in diesem Zusammenhang nichts aus. „Ich helfe Ihnen, daß Sie sich besser fühlen (als jetzt) in bezug auf die schwierige Situation X!“ ist nur eine von vielen Vertragsvarianten, die – und das scheint vielen NLP-AnwenderInnen nicht bewußt zu sein – nicht von allen Klienten gewünscht wird! Sicher genießt jeder Mensch angenehme Gefühle mehr als unangenehme. Aber bessere Gefühle und angenehmere Zustände machen nicht immer Sinn. K+ und damit mehr Handlungsenergie ist nicht immer eine Entscheidungshilfe oder ein guter Wegweiser in einem anstehenden Lernprozeß. K+ ist das natürliche Ergebnis, wenn man das tut und denkt, was Sinn macht, aber es ist nicht immer die beste Voraussetzung, um ökologisch mit sich selbst umzugehen.
Wenn der Berater mehr Wahlmöglichkeiten dafür anbietet, welches Ergebnis der Veränderungsarbeit dem Klienten zusagt, und wenn dieser dann unter solchen Möglichkeiten spontan und kongruent auswählt oder sie alle verwirft, dann kommt es entweder zu einem von vornherein ökologischen – also „wohlgeformten“ Vertrag (siehe Literaturhinweis am Schluß) oder eben zu einer genauso ökologischen Weiterempfehlung des Klienten! Die Wahlmöglichkeiten liegen damit wirklich beim Klienten und nicht nur – entsprechend der häufigen Auffassung – beim Berater, der unter seinen State-Change-Techniken diejenigen auswählt, die dem Klienten erst Wahlmöglichkeiten schenken sollen. Eine ungute Auffassung von Kompetenz und Macht! Eine dem Klienten wirklich „Selbstbestimmtheit“ zuschreibende NLP-Ethik bietet diesem von vornherein sehr praktische Wahlmöglichkeiten. NLP-Ethik muß Vertrags-Ethik werden. Der Klient wird informiert, wofür er zahlt, bevor er zahlt.
Unterschiedliche, wohlgeformt formulierte Angebote von möglichen, überprüfbaren Beratungsergebnissen führen bei verschiedenen Klienten auch tatsächlich durchaus zu verschiedenen Entscheidungen! Auf diese Weise kann der Berater diagnostizieren, ob es wirklich um ein gutes Gefühl (K+), um eine Orientierung in bezug auf eine anstehende Entscheidung, um die Erreichung eines Leistungszieles oder aber um die dauerhafte Steigerung der gesamten subjektiven Lebensqualität geht (wofür der Klient seine Zielsetzungen auf eine völlig neue Weise mit Sinn in Zusammenhang bringen muß, siehe Literaturhinweis am Schluß). Egal ob dieses Angebot explizit erfolgt oder implizit vom Berater aufgrund von Vorinformationen über die Art seiner Beratung vom Klienten erwartet wird: Konkret umgesetzte und überprüfbare NLP-Ethik hat mit der Ökologie des zwischen Berater und Klient geschlossenen Vertrags zu tun.
Das zwischen Berater und Klient abgesprochene Beratungsergebnis hat mit der grundsätzlich erwünschten, spezifisch beschriebenen Gesamtwirkung der Interventionen und Hilfestellungen zu tun. Der Berater gibt also ein Wirkungsversprechen ab und der Klient zahlt genau dafür. Der Berater arbeitet also von Anfang an auf eine abgesprochene Wirkung zu, und weiß damit auch, wann genau er nicht mehr gebraucht wird. Er arbeitet gezielt daraufhin, sich selbst überflüssig zu machen, anstatt einfach darauf zu warten, bis der Klient geht und das im nachhinein so aufzufassen, daß dieser wohl bekommen haben muß, was er gebraucht haben könnte… Dies kann man leider oft beobachten.
Eine alternative Dienstleistungsmoral und konkrete Ethik für NLP-Veränderungsarbeit ist m.E. der einzige Ausweg aus dem oben beschriebenen doppelten Vermeidungs-Dilemma ist: Die Vermeidung einer Berührung mit grundsätzlichen, inhaltlichen Fragen (Was verspricht NLP?) einerseits und andererseits die Vermeidung einer Festschreibung von Wirkungszusammenhängen (Jede Intervention wirkt bei jedem Klienten gleich). Trotzdem gibt es viele Gegenstimmen gegen die Besprechung des möglichen Ergebnisses mit dem Klienten. Dabei werden vor allem zwei Argumente genannt, auf die ich hier eingehen möchte, um bei dieser Gelegenheit zu erläutern, weshalb ich davon überzeugt bin, daß das Herz der NLP-Ökologie im Vertrag liegt.
(1) Erstes Argument gegen eine explizite Vertragsschließung:
„Wenn der Berater sich gegenseitig ausschließende Angebote macht, was erreicht werden könnte, manipuliert oder beeinflußt er den Klienten dahingehend, zu glauben, was nicht machbar ist, weil das Angebot die Grundannahmen des Beraters wiederspiegelt.“ Ich kann darauf nur erwidern, daß das Angebot des Beraters ohnehin dessen subjektiver Landkarte entspricht, auch wenn er sich bemüht, flexibel „draufloszuintervenieren“. Die Einwände des Klienten gegen ein bestimmtes Angebot werden nicht hinterfragt, solange der Berater keine Erlaubnis – also keinen Vertrag – hat. Damit kann der Klient im Vertragsgespräch seine Inkongruenz in bezug auf ein bestimmtes Angebot spontan (und unbewußt) deutlich machen, ohne daß seine Überzeugungen überhaupt diskutiert werden. Er bleibt damit freier, als wenn der Berater ihn im nachhinein glauben machen möchte, daß eine bestimmte Intervention sich in jeder Hinsicht für ihn segensreich auswirken müßte (wenn nur alle Einwände beim Ökocheck berücksichtigt werden!).
Zweites (und meinem Gefühl nach viel interessanteres) Argument gegen eine explizite Vertragsschließung:
„Das Versprechen von Heilung ist sogar gesetzlich verboten.“ Das ist richtig. Hier ist nur festzustellen, daß ein großer Unterschied zwischen einem Wirkungs- und einem Heilungsversprechen besteht. Ein Heilungsversprechen bezieht sich auf das Verschwinden eines bestimmten Problems beziehungsweise Symptoms. Der Berater kann und sollte tatsächlich nie versprechen, dieses dem Klienten wegzuzaubern. Außerdem würde kein Klient – so sehr er unter seiner Beschwerde auch leidet – so etwas voll kongruent bejahen, und sich in solch eine Abhängigkeit begeben (auch wenn vielleicht durchaus einige seiner Anteile dazu bereit wären). Der Berater kann aber versprechen, wie sich die NLP-Veränderungsarbeit der einen oder anderen Art auswirkt, wenn man solch ein Problem oder Symptom zum Thema macht. Dies erfordert jedoch eine absolute Kompetenz in professioneller Vertragsarbeit.
Ich selbst habe solch wohlgeformte Verträge weder in irgendeinem NLP-Seminar vorgeführt bekommen noch irgendwo anders in der Psychologie. Ich habe durch meine eigenen Fehler gelernt – immer auf der Suche nach einer Dienstleistungsethik, die für mich Sinn macht. Ich will nicht einmal sagen, daß die NLP-Welt besonders „unethisch“ eingestellt ist. Aber NLP ist besonders betroffen von der Ethik-Frage, weil die Anführung von theoretischen und abstrakten Prinzipien nicht zum NLP paßt und wir uns zudem auf keine „moralisch vertretbaren Inhalte/Techniken“ berufen können, außer – wie O’Connor es auch tut – auf die Summenmoral der AnwenderInnen, die sich hoffentlich anständig und flexibel um ihre KlientInnen kümmern. Ich habe jedoch festgestellt, daß diese Bemühung an sich nicht genügt, um jedem Klienten gerecht zu werden.
Wenn wir das Mißtrauen der Öffentlichkeit gegenüber NLP nicht nur verurteilen und uns nicht nur über das drohende und sicherlich sehr unförmige „Lebensbewältigungshilfegesetz“ (vgl. Multimind Dez. 97, S.5ff) aufregen, sondern so etwas als Hinweis für den Bedarf an klaren Verträgen sehen, dann hat NLP eine Überlebenschance – als Wegweiser für andere psychologische Schulen in Richtung einer praktischen Ethik.
Über die Autorin:
Annegret Hallanzy hat Psycholinguistik studiert, wendet NLP seit 1986 in selbständiger Tätigkeit an und ist zert. Lehr-Trainerin. Sie leitet Weiterbildungen für Master-Practitioner in Coaching und Visionsorientierter Veränderungsarbeit.
Adresse: Josef-Weigl-Straße 6, D-82041 Deisenhofen.
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Copyright Hallanzany 1998. Mit freundlicher Genehmigung des Junfermann Verlages. |